Impuls vom 07.10.2025

Sonnengesang

Der hl. Franz von Assisi, dessen Gedenktag wir am 4. Oktober, feiern, ist bis heute einer der faszinierendsten Heiligen. Sein Biograph, der hl. Bonaventura, schrieb über ihn:
„Um sich zur Gottesliebe aufrufen zu lassen, jubelte er über alle Werke der Hände des Herrn und erhob sich von den Spiegelbildern seiner Schönheit zu deren lebenspendenden Quellgrund. In allem Schönen schaute er zugleich den Schönsten. Auf den Spuren, die er den Dingen eingeprägt fand, ging er überall dem Geliebten nach und benützte alle Dinge als Leiter, auf der er emporsteigen und den umfassen konnte, der ganz liebenswert ist. In einer liebenden Gottseligkeit … verkostete er in den einzelnen geschaffenen Dingen, als seien sie viele kleine Bäche, den Quell aller Güte. Als ob er in dem Zusammenspiel der Kräfte und Handlungen, die Gott ihnen verliehen, gleichsam eine himmlische Melodie vernommen hätte, ermahnte er sie in Liebe zum Lobe des Herrn“ (Vita Francisci IX.2).

Das ist ein bisschen altertümlich und blumig formuliert, aber schlicht wunderbar. Franziskus sieht das Schöne. Heutzutage sehen es viele Menschen nicht, jedenfalls nicht in erster Linie. Bei uns ist der Focus ja oft bei dem, was nicht schön ist, was nicht so funktioniert, wie ich es gern hätte, was mich stört. Manchmal hat man das Gefühl, dass wir eine Gesellschaft von ewig unzufriedenen Motzern und Meckerern werden, die alles für selbstverständlich halten und denen nie etwas genügt.
Franziskus sieht und lobt das Schöne – in der Natur, im Menschen, in der ganzen Schöpfung. Er kann das, weil er bereit ist, einen Schritt weiterzugehen: Das Schöne wird für ihn zur „Leiter“. In allem, was gut und schön ist, sieht er auch „den Schönsten“. Und der „Schönste“ ist für ihn Jesus Christus.
Da sind wir bei einem Kern unseres Glaubens. In Jesus, dem Menschgewordenen, dem Auferstandenen, erstrahlt der Mensch in neuer Herrlichkeit. Das Schwere, das Hässliche, die Wunden bleiben. Aber sie haben ihre todbringende Kraft verloren, sie erstrahlen in neuem Licht. Durch Gott gewinnt die ganze Schöpfung in Christus ihre ursprüngliche Schönheit zurück.

Darum war Franziskus, sagt sein Biograph, als ob er in den Dingen „eine himmlische Melodie vernommen hätte“. Diese Melodie will er durch alle Misstöne und Disharmonien in der Welt zum Klingen bringen. Und so singt er sein Lied und dichtet – 800 Jahre ist das heuer her – den berühmten „Sonnengesang“: „Laudato si – Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen“.
Alles, was sich in dieser Welt findet, lädt er ein, das Lob des Schöpfers anzustimmen. Alle Geschöpfe haben für ihn ein Gesicht und gehören gleichsam zur Familie: Bruder Sonne, Schwester Mond, Bruder Feuer, Schwester Wasser, Schwester Mutter Erde. Und mit seinen Schwestern und Brüdern muss man sorgsam und ehrfürchtig umgehen und kann sie nicht einfach gebrauchen.

Der Sonnengesang des hl. Franziskus ist darum genau das richtige Lied für unser christliches Erntedankfest. Er hilft uns, sozusagen die „Leiter“ wahrzunehmen, die uns zum Schönen führt und zum „Schönsten“ bringt – trotz allem, was dem oft entgegensteht.
Der Würzburger Bischof Franz Jung sagt: „Wie alle echten Gotteslieder ist der Sonnengesang ein Lied, das ansingt gegen eine Wirklichkeit, die scheinbar hoffnungslos, lieblos, hässlich und verdorben ist. Franziskus glaubt… an die Macht der Auferstehung. Er glaubt an das Gute und Schöne. Deshalb singt er das neue Lied des erlösten Menschen. Wir brauchen solche Lieder als Ermutigung. Wer mit Franziskus an den neuen Himmel und die neue Erde glaubt, der singt mit ihm und der packt mit an, dass wir das gemeinsame Haus, wie Papst Franziskus sagte, nicht einfach seinem scheinbar unabwendbaren Schicksal des Untergangs überlassen, sondern jetzt schon mithelfen, das Angesicht der Erde aus unserer Hoffnung heraus zu erneuern.“

Nichts Besseres können wir am Erntedankfest machen, als mit Franziskus das Lob des Schöpfers zu singen: „Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen“.


Höchster, allmächtiger, guter Herr,
dein sind das Lob, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen.
Dir allein, Höchster, gebühren sie,
und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.
Gelobt seist du, mein Herr,
mit allen deinen Geschöpfen,
zumal dem Herrn Bruder Sonne,
welcher der Tag ist und durch den du uns leuchtest.
Und schön ist er und strahlend mit großem Glanz:
Von dir, Höchster, ein Sinnbild.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch Schwester Mond und die Sterne;
am Himmel hast du sie gebildet,
klar und kostbar und schön.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken
und heiteres und jegliches Wetter,
durch das du deinen Geschöpfen Unterhalt gibst.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch Schwester Wasser,
gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch Bruder Feuer,
durch das du die Nacht erleuchtest;
und schön ist es und fröhlich und kraftvoll und stark.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch unsere Schwester, Mutter Erde,
die uns erhält und lenkt
und vielfältige Früchte hervorbringt
und bunte Blumen und Kräuter.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen
und Krankheit ertragen und Drangsal.
Selig jene, die solches ertragen in Frieden,
denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch unsere Schwester, den leiblichen Tod;
ihm kann kein Mensch lebend entrinnen.
Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben.
Selig jene, die er findet in deinem heiligsten Willen,
denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.
Lobt und preist meinen Herrn
und dankt ihm und dient ihm mit großer Demut.


(Erntedank 2025. Text des Sonnengesangs aus: Dieter Berg, Leonhard Lehmann (Hg.), „Franziskus-Quellen“
© 2009 Edition Coelde in der Butzon & Bercker GmbH)