Impuls vom 18.11.2021

Bußgottesdienst im Kölner Dom

Liebe Menschen hier im Kölner Dom, liebe Menschen, die diese Stunde über die Medien miterleben!

Dieser Gottesdienst braucht eine Vorrede! Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Gottesdienst bereits im Vorfeld so heftig umstritten war wie dieser Bußgottesdienst anlässlich der Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln. Der Streit um diesen Gottesdienst geht durch alle gesellschaftlichen und kirchlichen Lager, auch durch die Reihen der Betroffenen. Obwohl ich diesen Gottesdienst „geerbt“ habe, habe ich mich nicht entscheiden können, ihn abzusetzen oder auf die Fastenzeit (und damit auf das Ende meiner Zeit als Bistumsleiter) zu verschieben.

Ich erzähle Ihnen vom Versuch meiner Rollenklärung: Seit dem 12. Oktober bin ich im Auftrag von Papst Franziskus Leiter des Erzbistums Köln. Damit bin ich der „Chef der Täterorganisation Erzbistum Köln“. Von Priestern und weiteren kirchlichen Mitarbeitern unseres Bistums ist eine große Zahl von Verbrechen sexualisierter Gewalt an Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen verübt worden. Ich mache erst gar nicht den Versuch, für diese Taten angemessene Adjektive zu finden. Angesichts der Zahlen kann niemand mehr von Einzelfällen sprechen. Ich habe mir das auch lange genug versucht, vorzumachen. Ich wollte nicht wahrhaben, was in meiner geliebten Kirche von Mitbrüdern getan wurde. Ich habe versucht, diese Kirche, die für mein Leben so zentral ist, zu schützen. Ich habe die Betroffenen nicht im Blick gehabt. Das ist mein Versagen und meine Sünde.

Ich kann mich nicht für die Täter entschuldigen, aber es zerreißt mein Herz, dass das in „meinem Laden“ geschieht. Ich formuliere das bewusst so ein bisschen schnoddrig, weil ich auch nicht die Gläubigen, theologisch gesprochen, den „Leib Christi oder das „Volk Gottes“ mit in Haft nehmen möchte. Hier kann jeder nur selber schauen und seinen Teil der Verantwortung übernehmen. Wenn der „normale rheinische Katholik“ das Wort „Bußgottesdienst hört, assoziiert er: „dr leeve Jott is nit esu“ und vertraut auf die Vergebung seines Gottes, der gar nicht anders kann als zu vergeben. Mir kam da ein Wort des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer in den Sinn, das mir ein alter Priester einmal mit Bleistift auf einen Zettel notiert hat. Bonhoeffer schreibt: „Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. ... Billige Gnade ist Predigt der Vergebung ohne Buße, ist Taufe ohne Gemeindezucht, ist Abendmahl ohne Bekenntnis der Sünden, ist Absolution ohne persönliche Beichte. Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, menschgewordenen Jesus Christus.“

Das ist für viele schwere theologische Kost. Vom Ergebnis heute ist es einfach. Dieser Bußgottesdienst endet nicht mit der Vergebung. Wir können uns nicht selbst absolvieren. Wir bitten auch nicht die Opfer um Vergebung, damit es uns besser geht. Er ist vielmehr Schuldbekenntnis, Gedächtnis der Betroffenen, Fürbitte.

(Weihbischof Rolf Steinhäuser im „Bußgottesdienst anlässlich der Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln“ am 18. Nov. 2021 im Kölner Dom)