Impuls vom 07.02.2022

Himmlischer Lobpreis

„Viele verachten die edele Musik“, so beginnt ein Lied aus der Barockzeit, das vor Jahren auch die „Wise Guys“ in ihrem Programm hatten. Ein Loblied auf die Musik, das mit den Worten endet: „Aber die solches hier unten nicht ehren, die sollen auch droben das Sanctus nicht hören!“
Es gibt nicht nur eine Musik „hier unten“, sondern auch eine „droben“. Und diese beiden Musiken hängen irgendwie zusammen, oder besser: Sie klingen zusammen. Das Sanktus ist Inbegriff der himmlischen Musik.
Wie aber klingt die Musik im Himmel? - Eine Antwort, leider nur mit Text und nicht mit Noten oder beiliegender CD, gibt der Prophet Jesaja. Er schildert, wir haben es heute in der Lesung (Jes 6,1-8) gehört, wie er in Jerusalem im Tempel steht und da plötzlich in einer Vision den Himmel schaut und ihn auch gleichsam hört. Denn die Serafim rufen einander zu: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen. Erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit“.
Diese Worte gehören bekanntlich zu jeder Messfeier. Wir singen sie in jedem Hochgebet, bevor wir uns zur Wandlung niederknien. Mit unserem irdisch-zeitlichen Gesang stimmen wir ein in den himmlisch-ewigen Chor der Engel, von denen auch das Neue Testament sagt – in der Offenbarung des Johannes: „Sie ruhen nicht, bei Tag und Nacht, und rufen: Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung“ (Offb 4,8).
Wenn das Sanktus erklingt, sind wir also „Kollegen der Engel“. Sie singen oben – und wir hier unten.

Wir sollten darum von dem, was wir hier jetzt gerade tun, nicht zu gering denken. Es ist heutzutage nicht schwer, das, wozu sich Christinnen und Christen Sonntag für Sonntag versammeln, zu relativieren. Man kann dem jederzeit fernbleiben. Man kann es auch mit einer Veranstaltung verwechseln, die doch möglichst lebendig und kurzweilig (mit Betonung auf „kurz“) zu gestalten ist. Man kann es, wie die meisten unserer Zeitgenossen es mittlerweile tun, für die überflüssigste und sinnloseste aller Tätigkeiten halten und vielleicht sogar die heuchlerischste.
Das mag es für uns eine Hilfe und ein Trost sein, sich vom Sanktus, dem himmlischen Lobpreis der Engel um Gottes Thron, der schon seit dreitausend Jahren von Juden und Christen gesungen wird, an der Kern der Sache erinnern zu lassen. Denn es geht hier um nichts Geringeres als darum: In dem Augenblick, wo sich die irdische Gemeinde versammelt und Gott für seine Taten preist, verbinden sich Himmel und Erde. Das Gotteslob der Gemeinde verschmilzt mit dem Gotteslob der Engel, da ist kein Unterschied mehr. Es ist schon ein Stückchen Ewigkeit da, mitten in dieser vergänglichen Welt.

So wie diese Welt ist, mit all ihren Abgründen, ihren Oberflächlichkeiten und Erbärmlichkeiten – ich könnte und wollte nicht in ihr leben ohne die Erfahrung, dass sich in ihr auch schon ein Stückchen Ewigkeit, ein bisschen himmlischer Glanz zeigt; dass trotz allem, was dem entgegensteht, Himmel und Erde erfüllt sind von Gottes Herrlichkeit. Gottes Herrlichkeit: nicht bloß wieder nur ein Stück Welt und eine Facette des Irdischen und Vergänglichen, sondern tatsächlich ein Abglanz des ganz Anderen.
Und – wenn ich das so ehrlich sagen darf – es zerreißt mir darum manchmal das Herz, dass es uns als Kirche immer weniger gelingt, Menschen diese Erfahrung, diese Möglichkeit weiterzugeben. Sie glauben uns schlichtweg nicht mehr. Sie trauen der Kirche alles Mögliche zu, aber nicht mehr, dass es ihr tatsächlich um ein Stückchen Himmel auf Erden, um den ganz Anderen, den Heiligen geht. Und so, wie sich „unser Laden“ oft präsentiert, muss einen das auch nicht wundern …

Wir alle spüren diese Verunsicherung. Wir alle wissen, dass sich vieles einfach ändern muss. Manches muss aber auch einfach bleiben – zum Beispiel das, was wir hier jetzt tun. Wir müssen es möglichst gut tun, so schön, so „gottesvoll“ und menschennah wie möglich. Aber ohne Gottesdienst, ohne Singen und Musik, ohne Liturgie und Kirchenräume und all die Dinge, die anders sind als das Alltägliche, die schlicht „heilig“ sind, möchte ich nicht sein und können wir nicht sein.
Und darum tun wir es auch heute wieder: „Wir preisen dich mit allen Chören der Engel und singen vereint mit ihnen das Lob deiner Herrlichkeit: Heilig, heilig, heilig, Gott, Herr aller Mächte und Gewalt, erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit.“

(Predigt am 6. Februar 2022 TS)