Impuls vom 05.04.2021

Er geht euch voraus nach Galiläa!

Mit der Osterruhe war das wohl nichts! Weder mit der, die unsere Regierung (aus durchaus verständlichen Gründen) an diesem Osterfest gerne gehabt hätte, noch mit einer Osterruhe im Evangelium. Nach all den schweren Tagen, nach all dem Leid und der großen Enttäuschung bricht für die Frauen und Männer, die Jesus gefolgt waren, ganz unerwartet doch ein Morgen an. Könnte man da nicht am leeren Grab ein bisschen innehalten, die Freude genießen und zumindest einfach mal durchatmen? Aber nein, so eine Osterruhe ist nicht vorgesehen. „Er ist nicht hier“, sagt der junge Mann im weißen Gewand, und ihr dürft auch nicht hierbleiben. „Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen“ (Mk16,6f.)
Wo ist dieses Galiläa? Das ist für mich die zentrale Frage. Wo ist unser Galiläa? Wo begegnen wir dem lebendigen Christus?

Am Grab jedenfalls nicht. „Sucht den Lebenden nicht bei den Toten!“ Haben wir ihn nicht schon viel zu lange bei den Toten und toten Dingen gesucht?
Dass Kirche und Christentum bei uns in einem riesigen Umbruch sind, wissen wir seit vielen Jahren. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung zweifellos noch einmal beschleunigt. Schauen Sie sich um: Unsere Kirche zeigt viel Leere – natürlich, dem Hygiene-Abstand geschuldet. Aber Leere gab es auch schon vor Corona und wird es auch nach Corona geben. Und zeigt sie nicht eine verborgene innere Leere?
„Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Gräber und die Grabmäler Gottes sind?“, fragt bei Nietzsche der „tolle Mensch“, der den Tod Gottes verkündet. Der tschechische Theologe Tomas Halik sagt dazu: „Ich gestehe, dass mich viele Gestalten der Kirche, viele Kirchen und Gottesdienste und Predigten in ihnen, viele Bilder Gottes tatsächlich an Grabmäler eines toten Gottes und … einer toten Religion erinnern.“ Das ist sehr provokant gesagt, aber die meisten unserer Zeitgenossen sehen das so. Ich muss zugeben: Mir geht es manchmal ganz genauso.
Da muss man gar nicht auf die große Kirche zeigen und auf eine allzu billige Weise ihre angebliche Lebensfremdheit und Unbeweglichkeit beklagen. Man muss auch nicht, wie es die Medien in Köln und anderswo zur Genüge tun, an die Täter schrecklicher Taten erinnern, denen Gott sei Dank jetzt die Maske eifriger Frömmigkeit vom Gesicht gerissen wird; die, wie es Jesus von den Pharisäern sagt, tatsächlich wie Gräber sind: von außen weiß und rein, innen aber voller Fäulnis. Das gibt es in unserer Kirche.
Nein, schauen wir einfach auf das, wie wir es als ganz gewöhnliche Christen und als Pfarrgemeinde oft halten, was ich als Pfarrer so tue. Ein Bischof sagte mal: Manchmal komme ich mir so vor, dass ich – wie die Frauen damals am Ostermorgen mit ihren Salbölen – versuche, etwas Totes zu konservieren. Auch das ist ziemlich übertrieben, aber wer wollte leugnen, dass es in unseren Pfarrgemeinden manchmal schon ein bisschen viel Museum gibt und zu wenig lebendigen Christus? Denn wo er gestern noch war, ist er heute nicht mehr: „Er ist nicht hier. Er ist auferstanden. Er geht euch voraus nach Galiläa.“

Galiläa ist dort, wo das Leben ist, wo sich das Leben Jesu und der Jünger abspielte und wo sich auch unseres abspielt. Galiläa ist, wo Menschen die Höhen und Tiefen des Lebens erfahren, wo viel Gewöhnliches ist. Es ist auch, wie es das Evangelium nennt, das „heidnische Galiläa“, der Ort der religiös nicht ganz Koscheren, der Ungläubigen. Es ist Provinz, Peripherie, auf die man verächtlich herabschaut. Wo die Blinden sind und die Lahmen, die Sünder und die Zweifler, die Kinder und die Frohen und die Geplagten. Wo sich die Menschen mühen und arbeiten, wo sie lieben und leiden, lachen und weinen und sterben, dort ist Jesus zu finden, dorthin geht er uns voraus. Und wir hecheln mühsam hinterher …
Kurz vor seiner Wahl zitierte Papst Franziskus aus der Offenbarung des Johannes den Satz: Christus steht an der Tür und klopft an. Und er fügte hinzu: Heute klopft jedoch Christus aus dem Inneren der Kirche an und will hinaus gehen. Nicht um die Kirche, um uns zu verlassen, sondern um uns mitzunehmen. „Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen.“

Der große Trost dabei: Nach Galiläa gehen ist auch ein Zurückgehen, ein Heimkehren. Dort sind die Jüngerinnen und Jünger ja Jesus zum ersten Mal begegnet und von ihm berufen worden. Papst Franziskus sagt darum einmal in einer Osterpredig, dass nach Galiläa zurückkehren bedeutet, „die Erinnerung an jenen Moment zurückzuholen, in dem sein Blick dem meinen begegnet ist, den Moment, in dem er mich hat spüren lassen, dass er mich liebt. Heute, in dieser Nacht, (an diesem Ostertag), kann jeder von uns sich fragen: … Wo ist mein Galiläa? Erinnere ich mich daran? Habe ich es vergessen? Suche es, und du wirst es finden! Dort erwartet dich der Herr. Bin ich Wege gegangen, die es mich haben vergessen lassen? Herr, hilf mir: Sag mir, was mein Galiläa ist; weißt du, ich will dorthin zurückkehren, um dich zu treffen und mich von deiner Barmherzigkeit umarmen zu lassen. Habt keine Angst, fürchtet euch nicht, geht nach Galiläa zurück!“

Mit Osterruhe wird das also tatsächlich nichts. Gott sei Dank! Denn wieviel Glanz, wieviel Lebendigkeit bringt das in mein Leben, dass ich an Gräbern und toten Dingen nicht stehenbleiben muss, sondern auf die Suche gehen darf nach meinem Galiläa. Der Auferstandene geht mir voraus und ist mir immer voraus. Ich bin gespannt, wo und wie er heute auf mich wartet!

(Osterpredigt TS 2021.
vgl. Tomas Halik, Die Zeit der leeren Kirchen. Von der Krise zur Vertiefung des Glaubens, Herder Verlag 2021)